Ich bestellte einen Eiskaffee, er schloss sich an. Bis die Getränke kamen, beobachtete ich ihn schweigend, doch das schien den Mann nicht zu stören.
Diesmal erwartete er mich in einem Raum, in dem nichts als ein langer Tisch mit sechs Stühlen und ein Fernseher standen. Der ehemals karminrote Teppich war ausgeblichen. Hier pflegte mein Vater zu essen, allein. Seiner Weisung gemäß aßen Kaori, ich und die Hausangestellten in einem anderen Raum.
Ich bestellte einen Eiskaffee, er schloss sich an. Bis die Getränke kamen, beobachtete ich ihn schweigend, doch das schien den Mann nicht zu stören.
Ich hatte Hunger. Um schnell satt zu werden, aß ich eine Instant-Nudelsuppe. Mir wurde bewusst, dass mein neues Ich auch weiterhin hungrig sein würde, ob ich wollte oder nicht. Die Vorstellung fand ich ernüchternd. Während ich die Suppe aß, schaute ich fern. Der Nachrichtensprecher meldete aufgeregt einer Serie kleiner Explosionen in verschiedenen Städten. Ich ließ die Hälfte der Suppe stehen, zog mich an und ging aus dem Haus.
Die Tatsache, einen Menschen getötet zu haben, löste ungleich heftigere Reaktionen aus, als ich erwartet hatte. Es erschütterte mich bis ins Innerste. Ich wurde von Alpträumen geplagt, und wenn ich aufwachte, gierte ich nach Essen und Trinken. Obwohl das Fieber mich schüttelte, stopfte ich alles in mich hinein, nur um es sofort wieder zu erbrechen.
Kaori war schön. Mit leicht gesenktem Kopf öffnete sie die Tür des 24-Stunden-Shops, während sie in der linken Hand die Tüte mit den Einkäufen sowie ihr Portemonnai hielt und in der rechten den Kassenzettel. Typisch Kaori, dachte ich, die Kassenzettel aufzubewahren. Ein Lächeln huschte mir übers Gesicht.
Das Bierglas vor ihr war halb leer, außerdem gab es Salat, Frühlingsrollen und eine kleine Pizza. Kaori war schön. So schön, dass ich meine Probleme mit Shintani und Aida vollkommen vergaß.
Ob ich hier herumlief oder nach Hause fuhr und mich ins Bett legte; ob ich meine Kaffeedose jemandem nachwarf oder nicht; ob ich Lust auf Sex hatte oder nicht – es machte keinen Unterschied. Alles war mir gleichgültig.
„Wir haben es auf die geltenden Werte abgesehen. Macht, Hierarchie, Gemeinsinn. Die Gesellschaft ist uns egal. Revolution ist was für Deppen. Es geht um das kollektive Bewusstsein der Menschen. Wie eine Sahnetorte mitten ins Gesicht.”
Er nippte schweigend an seinem Whisky. Ich öffnete das Bier. Als es kurz zischte, schaute er wieder träge zu mir. Doch er sagte nichts und trank weiter. Ich zündete mir eine Zigarette an. Das unangenehme Gefühl, im Sofa zu versinken, ließ mich nicht los.
Auf einmal sah ich meinen Vater und sein versehrtes Ohr vor mir. Ich dachte daran, wie er mit zunehmenden Alter immer mehr dem Alkohol verfiel, dass er Gift bei sich trug, als ich ihn in dem Kellerraum einsperrte. Ich fragte mich, ob ihn der Hunger dort unten an seine Kindheit und an den Krieg erinnert hatte.
Ich nahm das Handy und rief Azusa Konishi an. Während sich die Verbindung aufbaute, trank ich ein Glas Wasser. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. Ich wusste, es war ein bisschen übereilt, aber heute war meine einzige Chance.
Ich trank von meinem Whisky. Er brannte mir in der Kehle, dann breitete sich Wärme in meinem ganzen Körper aus.
„Ich bin vielleicht nicht deine erste Wahl, aber so übel auch nicht, oder? Nummer zwei wird zur Abwechslung mal Nummer eins, c`est la vie. Für sich selbst immer nur die Rosinen rauszupicken ist nicht fair“
„Um euch ein konkretes Beispiel zu geben, Nenner und Zähler sind wie Currysoße und Pfannkuchen“ – er liebte solche Sätze und garnierte den ganzen Unterricht damit. Wenn er die Floskel mehr als vierzig Mal benutzte, würde sein immer dicker werdender Bauch explodieren.
Hobbys sind Filme (besonders französische und italienische; war an der Uni zwei Jahre lang Mitglied des Filmclubs), Radfahren, nicht sehr umfangreiche Feuerzeugsammlung. Keine besonderen kulinarischen Vorlieben, mag aber Ramen und Kaugummis. Raucher.
Ich setzte mich an die Theke und bestellte einen Gin Tonic. Eine Japanerin im Tanktop und mit straff geflochtenem Haar musterte verwundert meinen schwarzen Anzug.
„Vermutlich – „, begann ich und nahm einen Schluck Kaffee. Die Tasse hatte ein rotes Muster, als wäre sie von Sprüngen durchzogen. Jedes Mal, wenn ich mich mit dem Detektiv traf, tranken wir Kaffee. Wie zwei alte Damen, dachte ich.
Im literarischen Handlungsland Japan grassiert ein Virus, der seine Bewohner depressiv macht. Das Inselreich ist bevölkert von des Lebens überdrüssigen Menschen, die sich dann zwar nicht ins Schwert stürzen, in der Regel jedoch zumindest den Pfad der Leberzirrhose beschreiten.
Die ganz Fiesen unter ihnen, hier in DIE MASKE, fügen anderen systematisch Leid zu, sind “Geschwüre”, aka nihilistische Vollpfosten. Der Antiheld versucht seiner teuflischen Bestimmung zu entkommen, er nimmt dafür Leben. Und auch wenn die Morde schlimmeres Leid verhinderten, das Leben seiner großen Jugendliebe schützten, kriegt er diese Taten nicht aus dem Kopf. Erst als er – FACE OFF mit John Travolta lässt grüßen – eine neue Identität samt runderneuerten Gesicht annimmt, kommt er langsam auf den Trichter, dass mit ein paar Basiszutaten wie gute Literatur, Filme und einer lieben Frau, das Gericht “Leben” doch ganz schmackhaft sein könnte.
Geht doch. Nun muss er noch über eine Ernährungsumstellung nachdenken, weniger Kaffee in Dosen aus dem Automaten ziehen und Instant-Nudelsuppe aufbrühen… Im Gegensatz zum surrealen Kosmos von Haruki Murakami bleibt Nakamura in DIE MASKE der Realität verbunden, und die ist mit Rüstungskonglomeraten, die aus Profitgier Kriege anzetteln und manipulieren, und einer dadaistisch angehauchten Terrororganisation, die zuerst alle haarlosen Politiker liquidieren möchte, schon surreal genug.
Tragische Liebesgeschichte, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, verzwickter Thrillerplot: Wortmaître Fuminori Nakamura komponiert das zu einem flüssig lesbaren Mehrgängemenü.
Die mächtige japanische Kuki-Familie folgt einer menschenverachtenden Tradition: Der jeweils jüngste Sohn wird dazu erzogen, das Böse über die Menschheit zu bringen. Und so erhält Fumihiro eine Ausbildung, deren Ziel Zerstörung und Unglück ist, so viel ein einzelner Mensch nur vermag. Doch er hat andere Pläne: Fumihiro liebt das Waisenmädchen Kaori und will sie beschützen - und damit wird sein eigener Vater zu seinem schlimmsten Feind.
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Titel der 2010 bei Kondansha Publishers Ltd., Tokio, erschienenen Originalausgabe: >Aku to kamen no rūru<, Copyright © 2010 by Fuminori Nakamura. Die deutsche Erstausgabe erschien 2018 im Diogenes Verlag, die Übersetzung wurde unterstützt durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Covermotiv: Foto von Dan Winters, Copyright © Dan Winters Photography. Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch, 2019, alle deutschen Rechte vorbehalten, Copyright © 2018, Diogenes Verlag AG Zürich
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